Unsere Orgeln sind mehr als nur Instrumente

Die Geschichte der Orgeln bei St. Ulrich und Afra reicht weit in den Anfang des zehnten christlichen Jahrhunderts zurück. Heute steht auf der Westempore die große Sandtner-Orgel aus dem Jahr 1982/98.
Mit ihren 70 klingenden Registern auf vier Manualen und Pedalwerk orientiert sich die Disposition der neuen Orgel an verschiedenen Strömungen und Höhepunkten in der Geschichte des Orgelbaus. Ihre Zusammenstellung ist dennoch sinnvoll aufeinander bezogen.

Die klassischen Werke sind das Hauptwerk, das Rückpositiv und das Pedalwerk. Das Brustwerk ist eher barock, während das Schwellwerk die Romantik vertritt. Von den mehr als 3000 Pfeifen stammen 906 aus der alten Orgel. Die größte Pfeife misst 9 Meter, die kleinste 5 mm (ohne Fuß). Das ganze Instrument ruht mit einem Gewicht von 30 Tonnen auf einer Stahlträgerkonstruktion.

Die große Sandtner-Orgel auf der Westempore

Die große Sandtner-Orgel
Die große Sandtner-Orgel

Die Westempore wurde im Jahr 1607 in die Basilika eingezogen. Das Orgelwerk wurde 1981/82 von der Dillinger Orgelbaufirma Hubert Sandtner geschaffen und verfügt über 68 klingende Register auf vier Manualen und Pedal. Sie umfasst 4487 Pfeifen, von denen um die 900 von der Vorgängerorgel übernommen wurden, die Heinrich Koulen aus Oppenau 1903 erbaut hatte. Neu hinzu kamen das stilistisch und proportional dem Hauptprospekt nachempfundene Rückpositiv, das in die Brüstung der Empore eingesetzt wurde. Im Jahre 1998 entschloss man sich für einen klanglichen Umbau und die Erweiterung der technischen Möglichkeiten, die ebenfalls die Fa. Sandtner vornahm. Eingefügt ist die Orgel in ein auf 1608 datiertes Gehäuse, das in vorzüglicher Fachwerk-Konstruktion nach einem Entwurf des späteren Stadtmalers Matthias Kager (1575-1634) entstand. Als unmittelbares Gestaltungsvorbild diente die knapp ein Jahrhundert früher entstandene Orgel in der Fuggerkapelle in St. Anna, deren Grundelemente die Orgel in St. Ulrich übernimmt: ein siebenteiliger Prospekt, in den oben ein halbkreisförmiger Bogen einschneidet, sowie bemalte Flügel. Hier wie dort finden sich die Fugger'schen Wappenlilien, hier wie dort zeigen die Malereien auf den Flügelinnenseiten die Himmelfahrt Christi und die Aufnahme Mariens in den Himmel. Die Rückseiten der Flügel in St. Ulrich und Afra wurden abgenommen und sind heute an der Südwand des Hochchores aufgehängt. Sie zeigen den hl. Jakobus und die hl. Anna Selbdritt.

Die Marien- oder Schneckenorgel
Die Marien- oder Schneckenorgel

Etwas versteckter - in der Schneckenkapelle über der Sakristei - befindet sich die Marienorgel (II/18, erbaut 1925 durch die Gebrüder Hindelang, Ebenhofen/Allgäu). Wegen des Beinamens der Marien-Kapelle wird diese Orgel auch “Schnecken-Orgel” genannt.

Im Hochchor der Basilika steht zusätzlich noch ein fahrbares Portativ (I/6).

Nach dem Zusammenbruch des pneumatischen Steuersystems der alten Orgel stellte sich bedauerlicherweise der irreparable Zustand dieses bereits mehrfach umgebauten Instruments dar. Es war im Jahre 1903 von Heinrich Koulen und seinem Sohn Max erbaut worden und galt unter den großen romantischen Orgeln als ein bedeutendes Werk.

Eine generelle Lösung des entstandenen Orgelproblems konnte nur in einer neuen, von Grund auf durchdachten Anlage nach dem vom Orgelbau wieder aufgenommenen, klassischen mechanischen Bauprinzip gefunden werden. Mit dieser Arbeit wurde die Orgelbaufirma Hubert Sandtner aus Dillingen an der Donau betraut. Wie die großen Vorbilder der Orgelbaugeschichte wurde die neue Orgel in selbsttragender Massivholzbauweise erstellt. Diese Technik kommt vornehmlich der Klangresonanz zugute, indem sie die Schwingungen vermehrt und eine warme Abrundung des Klanges bewirkt.
Besondere Aufmerksamkeit erfuhr die Instandsetzung des in vorzüglicher Fachwerk-Konstruktion erbauten Orgelgehäuses von 1608. In nahezu vier Jahrhunderten war es durch mehrere Erneuerungs- und Umbauten des Innenwerks stark in Mitleidenschaft gezogen und durch Zerschneidung der tragenden Elemente seine Eigenstatik zerstört worden. Durch den Einbau von Leimbindern konnten sämtliche noch vorhandenen Originalteile - auch ehemals tragende - erhalten und saniert werden.

Heute nimmt das historische Gehäuse das Hauptwerk der Orgel auf. Der Prospekt wird von den Pfeifen des Registers Prinicpal 16' in Originalaufstellung (ohne Cs, Ds, Fs, Gs) gebildet. Hinter dem Hauptgehäuse ist in Höhe des Wappens und der Engelsgestalten das große Schwellwerk angebracht, dessen bewegliche Jalousien eine stufenlose Schattierung der Dynamik des Klanges ermöglichen. Unmittelbar unter dem Schwellwerk und hinter den drei mittleren Prospektfeldern sind die spanischen Trompeten 16' und 8' plaziert. Auf eine heute auch bei uns an modernen Orgelprospekten geübte sichtbare Anbringung dieser bis zu 2,5 m horizontal eingebauten Trompeten original spanischer Bauart wurde aus Rücksichtnahme auf die gegebene historische Prospektanlage verzichtet. Unter dem Hauptwerk, im Orgelfuß, befindet sich das kleine Brustwerk, das ebenfalls durch Jalousien in seinem Klangaustritt gesteuert werden kann. Durchaus süddeutscher Tradition folgend, wurde das Pedalwerk hinter der Hauptorgel aufgestellt. Als zusätzliche Einrichtung wurde das stilistisch und proportional dem Hauptprospekt nachempfundene Rückpositiv - mit dem Register Principal 8' im Prospekt - in die Brüstung gesetzt.

Nahe dem Rückpositiv ist in zentraler Lage die Platzierung des viermanualigen, freistehenden Spieltisches so gewählt, dass der Organist nicht im Klangschatten der Orgel sitzt und freie Sicht über die gesamte Emporenfläche hat. Dies ermöglicht erforderlichenfalls die Doppelfunktion Orgelspiel - Chorleitung. Die Anbindung des Spieltisches geschieht über eine mechanisch eingerichtete Spieltraktur, die mit Holzabstrakten bis zu ca. 12,5m Länge ausgerichtet ist. Trotz dieser langen Trakturwege ist ein präzises, leichtgängiges und gleichmäßiges Orgelspiel gewährleistet.

Die Einschaltung der Register ist elektrisch gesteuert. In 3840 freien Setzerkombinationen lassen sich rasch die verschiedensten Klangfarben und Lautstärkegrade einspeichern und während des Spiels abrufen, wobei die Zugknöpfe der einzelnen Register selbst ihre Stellung verändern. Zur dynamischen Klangvielfalt steht eine 4fach Crescendo-Walze zur Verfügung. Ein manuelles Umregistrieren einer abgerufenen Kombination ist ebenso möglich. Damit die Orgel auch bei gekoppelten Manualen gut spielbar bleibt, verbinden elektrische Koppelapparate das Schwellwerk und das Rückpositiv mit dem Hauptwerk. Die direkt angespielten Werke bleiben mechanisch gesteuert.

Die ersten Orgeln 1050

Über dem Grab der heiligen Afra (+304) entstanden nacheinander eine spätrömische Basilika, dann ein vorromanischer und ein romanischer Kirchenbau. Hier fand der im Jahre 973 gestorbene Bischof Ulrich seine letzte Ruhestätte. Im Jahre 1012 kamen Mönche vom Tegernsee und gründeten das Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra, das als Reichsstift bis 1802 bestand. Der jetzige Kirchenbau wurde 1474 im Langhaus begonnen und erst um 1600 im Chor und am Turm beendet. Die erste Orgel, von der wir wissen, wurde unter Abt Adelhalmus (1050-1065) beschafft; sie stand also in der romanischen Vorgängerkirche. Der Abt Konrad Winkler (1334-1355) ließ wiederum eine Orgel aufstellen. Ein weiteres Werk - vermutlich das dritte - entstand unter Abt Juhann von Giltingen (1482-1496); der Preis betrug 107 Gulden. Als Erbauer gilt der Breslauer Stephan Kaschendorf, der zur gleichen Zeit in Nördlingen wirkte. Die Chronik bemerkt ausdrücklich, dass das Werk nur hölzerne Pfeifen hatte. Offensichtlich hielt man dies für eine erwähnenswerte Verbesserung gegenüber den vormals ausschließlich üblichen Pfeifen aus Kupfer oder Zinn. Über den Standort der Orgel lässt sich keine absolute Klarheit gewinnen. Die westliche Empore bestand damals noch nicht, der Chor der Kirche wuchs erst langsam empor; mithin muss man den Platz der Orgel im Lang- oder Querhaus suchen. Mehrere Quellen berichten von einem „Zwischengewölbe am Schluss des mittleren Schiffs”, auf dem sich die Orgel befand und das wohl um 1650 entfernt worden ist.

Chororgel von 1979

Nach historischen Quellen gilt es als „ziemlich sicher, dass bis 1797 eine Chororgel vorhanden war, über deren Erbauung oder Registrierung wir allerdings nicht informiert sind”. Offenbar wurde sie 1797 abgebrochen, denn im gleichen Jahr ließ der letzte Abt des Reichsklosters St. Ulrich und Afra, Gregor Schäffler (1795-1802) eine neue Chororgel im Presbyterium unter dem Pflaster installieren, die von der Kirche aus kaum sichtbar war. Sie war jahrzehntelang ein rechtes Sorgenkind und wurde schon 1849 wieder entfernt. Beim Einbau der Kirchenheizung (1970) fand man unter dem Pflasterboden des Chorraumes letzte Spuren. Die Orgel war vermutlich von Joseph Wirth angefertigt und wies 12 Register auf. 1849 verschwand die sorgenreiche unterirdische Chororgel endgültig.

Disposition der Chororgel von 1979

Principal 4'
Octav 2'
Quinte 2 2/3'
Mixtur  
Koppel 8'
Viola 8'
Gamba 8'
Quintatön 8'
Flöte 4'
Subbass 16'
Octavbass 8'
Violinbass 8'

Fuggerorgel 1581-1881

Mit dem Jahr 1580 tritt die Familie Fugger in die Geschichte der "ulrikanischen" Orgeln ein. Jakob Fugger (1542-1598), ein Sohn des Anton Fugger, schließt mit dem Abt Jakob Köplin und dem Orgelbauer Eusebius Amerbach Verträge ab, wonach er im nördlichen Seitenschiff die sogenannte Michaelis- oder Fuggerkapelle als Grablege für sich und die Seinen errichten darf. Dort wird ebenerdig ein Instrument platziert, da es die westliche Empore zur damaligen Zeit noch nicht gab. Die Fugger-Orgel kostet damals 2500 Gulden. Die Stiftersöhne Georg, Hans, Max und Hieronymus Fugger beschließen im Jahre 1606, die Orgel an „ain ander bequemer orth zu transferieren”. Abt und Prior waren einverstanden, dass die Freiherren durch den Maurer Conrad Stos für 744 Gulden eine imposante westliche Empore errichten ließen. Zugleich wird dem jeweiligen Organisten vom Kloster eine Wohnung zur Verfügung gestellt, die einen Mietwert von 20 bis 24 Gulden jährlich darstellt, nebst 6 Klafter Holz.

Man benutzt die Verlegung (1607), um die Orgel auf 13 Register zu erweitern. Den Auftrag hierzu erhält Marx Günzer. Zur gleichen Zeit beschafft man das prachtvolle Orgelgehäuse. Der Stadtmaler Matthias Kager schuf die Enwürfe und führte - unterstützt von Faßmaler Elias Greuther - die künstlerischen Malerarbeiten aus. Die großen Flügel (6,66m hoch) zeigen links Christi Himmelfahrt, rechts Mariae Himmelfahrt. Die Rückseiten der Flügeltüren hängen heute im Presbyterium (rechte Seitenwand) und stellen links den Apostel Jakobus, rechts "St. Anna selbtritt" dar.
Die Fuggerorgel wird damals im Wechsel mit der Kloster- und Pfarrorgel gespielt. Im Laufe der Jahrhunderte wird sie mehrfach gereinigt, überholt und umgebaut, so z.B. in den Jahre 1676, 1743 und 1775, als Andreas Stein, der berühmte Klavier- und Orgelbauer, am Ulrichsplatz wohnhaft, einen Wartungsvertrag abschließt. Zusammen mit seinem Schüler Joseph Wirth vollzieht er 1790 einen Umbau. Das Rückpositiv, dessen Zufügung wohl ins 18. Jahrhundert gefallen ist, tritt in den Akten von 1790 nicht mehr auf.
Schon im Jahre 1824 ist die Fuggerorgel wieder arg schadhaft. Josef Bohl repariert das große Werk zweimal (1846 und 1860). Jetzt sind erstmals zwei Manuale vorhanden. Über die Registerzahl bestehen unterschiedliche Ansichten; sie muss zwischen 21 und 33 gelegen sein. Obgleich der Augsburger Meister Mühlbauer 1888 die große Orgel gereinigt und gestimmt, die Mechanik verbessert und um einen Magazinball erweitert hat, bricht man schon am 3. Februar 1903 die Orgel ab.

Disposition der Fuggerorgel von 1581

1.

Principal 8'
2. Flauttwerck 8'
3. Coppelbass 8'
4. Octaf 4'
5. Superoctaf 2'
6. Quint  
7. Mixtur 6fach
8. Zimbelwerck 2fach
9. Klains Verdeck 4'
10. Busaune 16'
11.

Herrenlen (Toppelte Quinten)

Tremulant, Vogelsang, Herbauckh, Ventil, 6 Blasebälge

 
12. Pedal-Principal

16'

Die Register 1, 2, 3, 7 und 10 sind auch im Pedal spielbar.

Disposition der Fuggerorgel von 1790

Manual C-c3, 45 Tasten

1.

Principal 8'
2. Viola di Gamba 2fach  
3. Koppel 8'
4. Waldflöte 4'
5. Octav 4'
6.

Mixtur 6-8fach

3'
7. Feldflöten 2fach 2'
8. Cimbal 2fach
Pedal C-a, 18 Tasten
1'
9.

Principal 2fach

16/8'
10. Octavbaß 8'
11.

Violoncellobaß

8'
12. Trompetenbaß

8'

13. Kornetbaß 6fach 4'

Umbau durch Koulen 1903

Ein schmerzhafter Eingriff in die historische Substanz der Orgel geschah beim Umbau im Jahre 1903. Orgelbauer Heinrich Koulen aus Oppenau konzipierte die Orgel dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend für das romantische Klangideal und erbaute sie nach dem seinerzeit gerade modern gewordenen pneumatischen System (Taschenladen).

Leider wurde von Koulen ein System der Taschenventile entwickelt, welches von vorherein zu erheblichen Störungen führte - wohl einer der Gründe, die ihn später zur Aufgabe seiner Werkstatt zwangen. Diese Taschenventile bestehen aus einzelnen fest in die Kanzellen ballonartig eingeleimten Lederstückchen, welche durch den Winddruck gefüllt, sich als Dichtungen unter den Pfeifen befinden. Als großer Nachteil solcher Dichtungen haben sich die Winddurchlässigkeit und der frühe Alterungsprozess, der den Zusammenfall des Drucksystems zur Folge hatte, erwiesen. Diese Störanfälligkeit bei den damals ca. 4000 Taschenventilen hatte im Laufe der Jahrzehnte mehrere große Reperaturen nötig gemacht, die erste bereits im Jahre 1934.

Aus Sicht der Denkmalpflege muss sehr bedauert werden, dass bei den 1903 durchgeführten Arbeiten das Gerüst des historischen Gehäuses in bedenklicher Art beschädigt und teilweise zerstört wurde, um neue, unproportionale Werkteile unterzubringen. Der Gurtrahmen wurde zerschnitten und Holzverstrebungen entfernt, was eine erhebliche Schwäche der Statik bewirkte. Die statische Absicherung wurde von mehreren unschönen Stahlträgern übernommen. Die ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogene wertvolle Rückseite wurde dadurch noch mehr verstümmelt. Die Disposition der Orgel war auf 73 Register angelegt. Als Rarität kann die Hochdruckorgel und das Fernwerk angesehen werden.